Kein Platz an der Sonne    aus:  taz - die wahrheit  v. 22. 8. 2002

In Deutschland wird gewahlk�mpft - immer dabei: der Sonnenschirm

Als vor etlichen Jahren der enorme K�nstler Joseph Beuys in einem Lied mehr "Sonne statt Reagan" einforderte, bedachte er vielleicht nicht, dass die Politik sein Pl�doyer für die �Sonne" mit einem geradezu l�cherlich einfachen Mittel kontern w�rde - mit einem Sonnenschirrn n�mlich, genauer: jenem kreis- oder bezirksverbandseigenen Parteisonnenschirm, der die ehrenvolle Aufgabe hat, den Fu�g�ngerzonenst�tzpunkt seiner Partei zu �berdachen, zu schm�cken und im Verbund mit Papierf�hnchen, Kugelschreibern und Luftballons �sthetisch zu komplettieren, sowie aufs Freundlichste, ja, eben abzuschirmen, sei's vom Wetter, sei's von fallenden Blument�pfen, sei's von einem allgemeinen Gef�hl der Unbehaustheit oder sei's generell von allem, was von oben kommt.

Ohne ihn, dem Sonnenschirm, ist in den letzten Jahrzehnten ein Fu�g�ngerzonenauftritt der Parteien undenkbar geworden, ohne ihn k�nnte die kr�ftezehrende und unverzichtbare Basis und so genannte K�rrnerarbeit kaum mehr geleistet werden, ohne ihn g�be es wom�glich gar keine politischenParteien mehr. Ohne ihn w�re das politische Leben in der Bundesrepublik Deutschland praktisch tot.

Der Sonnenschirm - wer h�tte das gedacht! Zumal in Deutschland, sollte man meinen, weit ehe und plausibler der Regenschirm ins Parteiequitment aufzunehmen w�re. Da kann es wochenlang durchregnen, da kann die Flut kommen und ganze Landstriche kassieren, da brechen alle D�mme - der deutsche Politiker postiert sich unger�hrt unter seinem Sonnenschirrn. Niemand lacht ihn aus. Kein Arzt kommt, um ihn einzuweisen.

Wie und wodurch der Sonnenschirm eine derartige Bedeutung erlangen konnte, ist nicht ohne weiteres zu ermitteln.
Keiner wei� Genaues. Spekulationen schie�en ins Kraut.

Alle Macht in diesem Lande geht keineswegs vom Volke aus, sondern vom Sonnenschirm

Manche glauben, dass es der deutschen Politik, seit der Sonnenschim seinen Posten am Rand der Fu�g�ngerzone bezogen hat, nicht mehr um einen Platz an der Sonne gehe, nur noch um einen unterm Sonnenschirm. Die Politiker von heute, behaupten sie, seien keine unberechenbare Hei�sporne mehr, sondern k�hIe Rechner. Und sie sonnten sich auch nicht in ihren Erfolgen, sie machen ihren Job.

Alle Macht in diesem Lande geht keineswegs vom Volke aus, sondern vom Sonnenschirm. Wer ihn sieht, macht einen Bogen, beschleunigt den Schritt und versucht, unsichtbar zu werden. Die Angst ist gro8, einem Politiker in die Arme zu laufen, und die Erleichterung unbeschreiblich, wenn sich der Stand unterm Sonnenschirrn als der von einem Nagelscherenh�ndler oder Nachttopfset-Verk�ufer entpuppt.

War einst der Sonnenschirm der feineren Gesellschaft vorbehalten, soll er nun, als Parteisonnenschirm, offenbar noch immer etwas von der utopischen Aura eines besseren Lebens abstrahlen. Von fern gemahnt er auch an Urlaub und Karibikstrand. Das mag bei Wahlen in kalten, unwirtlichen Jahreszeiten von Vorteil sein! Selbst wenn gar keine Sonne scheint, wenn die Aussichten tr�be und die Stimmung verhagelt ist, signalisiert er: Kommet zu uns, ihr armen Seelen, denn wir sind auf der Sonnenseite! Ein Kalk�l, das nicht aufgehen kann, denn l�ngst verf�gen aile Parteien, von der DKP bis zur NPD, �ber ein schier unermessliches und unbegrenztes Sonnenschirmreservoir.

Wahlentscheidend wird der Sonnenschirm also nicht sein. Ist darum aber der Umkehrschluss erlaubt, es mache keinen Unterschied, welche Partei man w�hle, schlie�lich stehen sie alle unter einem Schirm? Nat�rlich nicht. Es gibt nur, lie�e sich sagen, einen partei�bergreifenden Konsens, der da lautet: Wir haben alle einen Schatten.
 
RAYK WIELAND